Die schwarze Sonne

Es erschütterte mich in meinem Innersten. Es war Dämmerung. Nicht im Osten. Nicht im Westen. Rund um mich herum. Der Schatten kam mit doppelter Schallgeschwindigkeit von der Bergkette am Horizont zu mir herangeflogen. Am Himmel war die schwarze Sonne zu sehen. Mit einem hellen Kranz herum. Eine totale Sonnenfinsternis. Noch nie war mir meine Stellung als Lebewesen im Universum so bewußt gewesen wie jetzt. Hatte ich einen Einblick in das kosmischee Uhrwerk nehmen dürfen. Mir die Abhängigkeit des Lebens von unserem Heimatstern gezeigt worden. Es waren nur zwei Minuten vergangen und unser Planet war merklich abgekühlt. Die Vögel verstummten. Doch nicht nur ich war ehrfurchtsvoll erstarrt. Alle übrigen Menschen um mich herum erging es ebenso. Ich glaube das niemand, der je im Kernschatten des Mondes gestanden hat dem Ereignis gleichgültig gegenüberstand. Lautes Schreien und Rufen waren zu hören. Der Mond ist 400 Mal kleiner als die Sonne. Und 400 Mal näher als sie. Durch einen Zufall leben wir genau in einer Zeit, in der Sonne und Mond gleich groß am Firmament erscheinen. Und dieser Zeitpunkt der Verfinsterung wurde schon vor Millionen Jahren durch die Himmelsmechanik festgelegt. Wann der paar Kilometer breite Kernschatten des Mondes wie ein schwarzes Loch mit doppelter Schallgeschwindigkeit über die Erdoberfläche fliegt. Nach maximal 3 Minuten verschwindet der Schatten wieder. Durch die Mondtäler leuchteten wieder die ersten Sonnenstrahlen, einem Diamantring gleich. Wenn so eine Sonnenfinsternis für den modernen Menschen so ein einschneidentes Erlebnis ist, welche Erschütterung löste es wohl bei unseren Vorfahren aus? Welche Macht hatten die ersten Priesterastronomen, die das Ereignis vorhersagen konnten? Adalbert Stifter beschrieb das Ereignis mit Ehrfurcht: „Nie und nie in meinem ganzen Leben war ich so erschüttert, wie in diesen zwei Minuten, es war nicht anders, als hätte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen und ich hätte es verstanden. Ich stieg von der Warte herab, wie vor tausend und tausend Jahren etwa Moses von dem brennenden Berge herabgestiegen sein mochte, verwirrten und betäubten Herzens. Endlich zur vorausgesagten Minute – empfing sie den sanften Todeskuss, ein feiner Streifen ihres Lichtes wich vor dem Hauche dieses Kusses zurück, der andere Rand wallte in dem Glase des Sternenrohres zart und golden fort – ‚es kommt‘, riefen nun auch die, welche bloß mit dämpfenden Gläsern, aber sonst mit freien Augen hinaufschauten. Die erste, seltsame, fremde Empfindung rieselte nun durch die Herzen.“

Leave a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.